Wahleinspruch wegen der Briefwahl

Die Briefwahl in Deutschland ist in hohem Maße anfällig für Wahlmanipulationen. Seit 1989 wurden alle Sicherungsmechanismen der Briefwahl bei der Bundestags- und Europawahl abgeschafft:

  1. Die Wahlscheine werden bei der Auszählung nicht mehr mit dem kompletten Wahlscheinverzeichnis abgeglichen, sondern nur noch mit der Liste der für ungültig erklärten Wahlscheinen. In dieser Liste sind gefälschte Wahlscheine natürlich nicht enthalten. (gestrichen 1989, § 68 Abs. 1 EuWO bzw. § 75 Abs. 1 BWO)
  2. Es reicht das Dienstsiegel nur noch aufzudrucken, anstatt es zu stempeln. (gestrichen 1989, § 27 Abs. 2 EuWO bzw. § 28 Abs. 2 BWO)
  3. Auch die Siegelmarken für die Stimmzettelumschläge wurden gestrichen. (gestrichen 1989, § 27 Abs. 3 bzw. § 28 Abs. 3 BWO)
  4. Es ist keine amtliche Unterschrift mehr auf dem Wahlschein nötig. (gestrichen 2002, § 27 Abs. 2 EuWO bzw. § 28 Abs. 2 BWO)

Gefälschte Briefwahlunterlagen mit Phantasienamen fallen also weder dadurch auf, dass es die Namen gar nicht gibt, noch durch irgendwelche Sicherheitsmerkmale. Die Unterschriften der Eidesstattlichen Versicherungen unter den Wahlscheinen werden nur auf Vorhandensein überprüft, stellen also keinerlei Hürde für Fälscher dar. Es erfolgt nicht einmal ein Vergleich der Anzahl an ausgegebenen mit der an eingegangenen Briefwahlunterlagen.

Dass das Problem nicht theoretisch ist, zeigt eine lange Sammlung an Fällen von Fälschungen und Wahlbetrug bei der Briefwahl.

Misthaufen aufgebrachter Bürger
vor dem Dachauer Rathaus
wegen der Briefwahlfälschung 2002
Dachauer Misthaufen zur Briefwahlfälschung
Jörgensen/Süddeutsche Zeitung Photo

Weitere Sicherheitsprobleme der Briefwahl

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat die Bundestagwahl 2009 beobachtet und regt auch eine bessere Absicherung der Briefwahl an:

Obwohl die rechtlichen und administrativen Verfahren für die Briefwahl mit dem Ziel entwickelt worden zu sein scheinen, der Freiheit und Beteiligung der Wählerinnen und Wähler Vorrang zu geben, sollte überlegt werden, die bestehenden Sicherungsmechanismen gegen den potenziellen Missbrauch des Briefwahlsystems auf ihre Eignung zu überprüfen. (Quelle)

Dass bereits kleine Manipulationen den Ausgang einer Wahl ändern können, zeigt die Liste knapper Wahlen bei Wikipedia (Englisch). So hatte beispielsweise die SPD bei der Bundestagswahl 2002 nur 6.027 Zweitstimmen mehr als CDU/CSU bei 47.996.480 gültigen Stimmen. Wegen Gleichstand musste bei der Landtagswahl 1975 im Wahlkreis Wuppertal IV sogar das Los entscheiden. (Quelle)

Durch eine Gesetzesänderung in 2008 (BGBl. I S. 394) ist mittlerweile die Beantragung der Briefwahl ohne Angabe und Glaubhaftmachung von Hinderungsgründen möglich, d.h. der Briefwahlanteil wird weiter steigen (zuletzt 21,4 % bei der Bundestagswahl 2009).

Wahleinspruch und Wahlprüfungsbeschwerde

Aus den oben genannten Gründen habe ich Einspruch gegen die Europawahl 2009 eingelegt. Es geht mir dabei nicht um eine Abschaffung der Briefwahl sondern um eine Verbesserung der Sicherheit.

Der Wahleinspruch wurde (wie alle jemals eingelegten Einsprüche) am 8. Juli 2010 vom Bundestag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Dagegen habe ich eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, dieser mussten 100 Wahlberechtigte beitreten. (Das Prozedere ist beim Verfahren gegen die Wahlcomputer recht gut beschrieben.)

Endstand am 2. September 2010: 142 Unterschriften, Danke allen Unterstützern, insbesondere den Unterschriftensammlern ;)

Am 7.9.2010 habe ich die Wahlprüfungsbeschwerde (PDF) beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. (Aktenzeichen 2 BvC 7/10)

Mit einem Beschluss vom 9.7.2013 (veröffentlicht am 26.7.2013) hat das BVerfG die Wahlprüfungsbeschwerde zurückgewiesen. Leider wurde dabei fast ausschließlich die Abschaffung des Begründungserfordernisses beachtet. Die leichte Fälschbarkeit der Briefwahlunterlagen wurde gänzlich ignoriert. Falls das BVerfG Wahlfälschungen als Angelegenheit der Strafegrichtsbarkeit betrachtet, erzeugt es hier eine gefährliche Rechtslücke, da es fast unmöglich ist, dass diese Fälle erkannt werden und vor Gericht landen. Denn durch die Abschaffung fast aller Sicherheitsmerkmale und den fehlenden Abgleich mit dem Wahlscheinverzeichnis ist es fast unmöglich, gefälschte Briefwahlunterlagen zu erkennen.

(Dank für die Korrekturen, Ergänzungen und sehr Informative Webseiten an: Martin Fehndrich, Matthias Cantow und Wilko Zicht, Ulrich Wiesner und Guido Strack. Außerdem danke ich Ernst-Otto Sommerer, Andreas Müller und dem Statistischen Bundesamt für die Unterstützung.)

 

Weitere Dokumente

Wahleinspruch, Aktenzeichen EuWP 40/09, 04.08.2009 (PDF)
Stellungnahme des BMI, 09.10.2009 (PDF)
Entgegnung zur Stellungnahme des BMI, 02.11.2009 (PDF)
Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses, Durcksache 17/2200, 17.06.2010 (PDF)
Bundestagsprotokoll der (immer erfolgenden) Ablehnung, 08.07.2010 (PDF)
Information des BVerfG über Bitte um Stellungnahme , 31.01.2012 (PDF)
Pressemitteilung zur Zurückweisung der Wahlprüfungsbeschwerde durch das BVerfG, 9.7.2013, veröffentlicht am 26.7.2013

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